„Was fehlt, ist einfach mal schnell zum Bäcker gehen“

Wie geht es einem, wenn man mitten in der Pubertät steckt und die Diagnose Zöliakie bekommt? Was macht man als Kontaktperson der DZG? Und ist das Tattoo wirklicht echt? Das alles hab ich Sina aus Nordhessen gefragt, die als „Glutenfreie Sina“ über Zöliakie und das Leben damit bloggt.

Barbara: Wann und wie wurde Zöliakie bei dir diagnostiziert?

Sina: Die Diagnose bekam ich im November 2010 durch eine Darmspiegelung mit Biopsie. Ich hatte damals den Typ: Marsh 3b. Ich danke bis heute meinem super Kinderarzt dafür, dass ihm mein Zustand keine Ruhe gelassen hat. Denn wie sich herausstellte, hatte ich den zuvor diagnostizierten Eisenmangel aufgrund der Zöliakie und auch die Antikörper sprachen für sich. Er leitete alles in die Wege, damit ich schnellstmöglich die sichere Diagnose durch die Biopsie bekam.

 

War dir Krankheit vorher schon ein Begriff?

Mir direkt war die Zöliakie gar kein Begriff. Meine Mutter konnte aber sofort was damit anfangen, denn einer meiner Cousins hat auch Zöliakie. Ich wusste nur, dass er nicht alles essen konnte und er immer einen eigenen Kuchen hatte. Da wusste ich noch nicht, welche Umstellung mir mit meinen 15 Jahren bevorstand…

 
Was war dein erster Gedanken nach der Diagnose?

Mein erster Gedanke? Puuh- das ist lange her… Ich war einfach noch nicht reif genug, um sofort zu wissen was das bedeutet. Ich dachte mir nur: So ein Mist, ich darf kein V+ Energy mehr trinken!

 
Wie ging es dir mit der Ernährungsumstellung?

Für mich gab es aber keinerlei Probleme in Hinsicht auf die Umstellung. Ich war dem gegenüber eigentlich sehr offen und freute mich darüber, Neues ausprobieren zu können. Anfangs war es in der Schule aber nicht gerade leicht. Ich war ja grade in dem Alter, wo es beim Freunde treffen darum ging, ein Bier zu trinken oder sich einen Döner zu holen. Das fiel dann bei mir aber flach… Ich konnte mich aber gut damit abfinden und lernte, die kleinen und selbstverständlichen Dinge des Lebens noch mehr zu schätzen (z.B. den Gang zum Bäcker…). Wobei das Einkaufen am Anfang wirklich mühsam war. Meine Mutter und ich haben uns stundenlang im Supermarkt aufgehalten, um die Einkaufsliste anhand der DZG (Deutsche Zöliakie Gesellschaft) Lebensmittelaufstellung abzuarbeiten.

Du hast deine Zöliakie offenbar problemlos angenommen. Oder wie darf man das Tattoo auf deinem Fuß verstehen?

Haha, ja mein Tattoo. Die Zöliakie ist ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Sie begleitet mich mein Leben lang und sorgte für eine drastische Veränderung meines Lebensstils. Ich bin viel offener den Menschen gegenüber, liebe es neue Menschen kennen zu lernen und sich auszutauschen. Ich habe meine Liebe zum Backen und Kochen gefunden und will der Welt zeigen, dass man durch die Zöliakie nicht eingeschränkt ist. Jeder soll wissen, dass es die Zöliakie gibt und man ganz einfach damit leben kann. Mein Motto lautet eben: Everyday is a glutenfree day 🙂

Was fehlt dir am meisten, von dem es auch kein glutenfreies Ersatzprodukt gibt?

Das ist eine wirklich schwierige Frage. So direkt fehlt mir eigentlich nichts. Ich versuche eben alles selbst zu backen oder kochen, weil das sowieso vieeel besser schmeckt, als gekauft. Was mir fehlt, ist der einfache Gang zum Bäcker und das beschwerdefreie Essen. Aber der Fortschritt in diese Richtung wird immer größer, da sich immer mehr Restaurantbesitzer mit diesem Thema auseinandersetzten. Also ich wette, in ein paar Jahren, kann ich auch problemlos zu einem glutenfreien Bäcker um die Ecke gehen und mir ein belegtes Brötchen kaufen 🙂 Mittlerweile gibt es einfach schon ein großes Angebot in den Supermärkten und in den Online- Shops. Diese sind gut aufgerüstet und auch die Hersteller stecken immer mehr in die Innovation ihrer Produkte.

Wie hat dein Umfeld die Diagnose aufgenommen?

Für meine Familie war das absolut kein Problem. So waren wir zu Hause gezwungen, frisch zu kochen und uns reichhaltiger zu ernähren. Manche Klassenkameraden lachten mich damals für die Diagnose aus, weil ich keinen Döner oder eine Fertigpizza essen konnte. Zu diesen „Freunden“ sagte ich aber schnell Tschüß. Ich merkte dadurch, wer meine wahren Freunde waren, denn die setzten sich für mich ein und backten mir mit Liebe glutenfreie Muffins oder Kuchen. Das ist auch heute noch so. Mein Partner hat keinerlei Probleme damit, da viele Produkte ja von Natur aus glutenfrei sind. Und wenn wir mit Freunden was Essen gehen wollten, wird immer gefragt, wo ich denn was gescheites (also nicht nur einen Salat) zu Essen bekomme. Die Zöliakie hat also auch Vorteile, denn alle richten sich nach meinen Wünschen 🙂

Wie waren deine ersten glutenfreien Backversuche?

Oh, die ersten Backversuche gingen oft voll daneben. Das ist aber teilweise heute auch noch so. Es ist schwierig am Anfang das richtige Verhältnis herauszufinden. Die glutenfreien Mehle sind alle sehr vielfältig und unterschiedlich. Leider ist es bei den glutenfreien Backwaren oft so, dass diese nach einem Tag total hart und ungenießbar sind. Man darf sich nicht unterkriegen lassen und muss sich einfach weiterentwickeln und sich vielleicht auch mal Tipps bei anderen Backkünstlern einholen. Wichtig ist auch, dass man sich genau an glutenfreie Rezepte hält, denn dann ist man auf der sicheren Seite.

 

Du bist jetzt auch Kontaktperson der DZG. Was genau bedeutet das und wie bist du darauf gekommen, diese Aufgabe zu übernehmen?

Ich habe ja relativ früh nach der Diagnose mit meiner Website begonnen, um anderen meine Tipps und Tricks mitzuteilen. Irgendwann ergab es sich dann, dass mich Leute aus meiner Umgebung bezüglich verschiedener Treffen angesprochen haben. Da ich gerne organisiere, war ich also schnell ermutigt Zöliakie-Treffen zu organisieren. Und als ich dann super Feedback bekam und immer mehr Menschen in meinem Kreis kennen lernte, dachte ich, dass ich mich jetzt auch offiziell bei der DZG als Kontaktperson bewerben kann. So können sich Neudiagnostizierte direkt an mich wenden. Ich versuche dann Fragen und Grundlagen zu der Zöliakie zu erklären. Ich gehe auch gerne mit Neulingen einkaufen und versuche den Umgang der Zutatenlisten zu festigen, damit sich alle sicher fühlen. Es soll sich keiner alleine fühlen und allein da stehen, weshalb ich jetzt mein Bestes gebe, um diese Leute zu unterstützen. Außerdem will ich auch Ärtze, Restaurants und die Allgemeinheit zu dem Thema Zöliakie sensibilisieren. Umso mehr davon wissen, umso mehr tut sich in der Gesellschaft!

 

Welchen ultimativen Tipp hast du für einen Neuling?

Nicht verzweifeln. Erstmal hinsetzen, durchatmen und ganz langsam das neue Wissen über den Umgang mit der Zöliakie aneignen. Ach ja, und keiner muss sich für die Zöliakie schämen. Im Gegenteil! Dazu dient der Austausch und regelmäßige Treffen. Die positive Lebenseinstellung darf nicht verloren gehen und dabei helfe ich natürlich sehr gerne!

 

Danke für das tolle Gespräch!

 

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