Du verzichtest auf Gluten? Feuer frei!

Heute wurden mir zwei Artikel in die Timeline gespült, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die aber typisch dafür sind, wie das Thema „Glutenfrei“ derzeit behandelt wird. Da gab es zum einen die Meldung im Hamburger Abendblatt mit dem Titel: „Von Brot bis Bier: Hamburgs erster glutenfreier Supermarkt„. In wenigen Wochen wird dieser seine Türen öffnen und sage und schreibe 1.200 glutenfreie Lebensmittel im Sortiment haben. Das Konzept: Menschen, die sich glutenfrei ernähren, sollen ihren Einkauf in diesem Geschäft – mit dem etwas eigenwilligen Namen G(l)ut’n’free – erledigen können. Explizit sprechen die beiden Gründer alle an: Zöliakie-Betroffene, Menschen mit Glutenunverträglichkeit oder -sensibilität, oder auch jene, die sich einfach nur mehr Gesundheit und Vitalität von dieser Ernährungsweise erhoffen. Wie übrigens die Gründer selbst, die sich „großteils“ glutenfrei ernähren. Spannend auch: Sie sind überzeugt, dass glutenfrei mehr ist als nur ein Trend. Denn obwohl nur etwa ein Prozent der Bevölkerung an Zöliakie leidet, geben zehn Prozent der Deutschen an, auf Gluten aus verschiedensten Gründen zu verzichten.

Und das komplette Kontrastprogramm dazu, der zweite Artikel. Im Kurier mit dem Titel „ Arsen und Quecksilber durch glutenfreie Ernährung?„. Darin wird von einer Studie berichtet, bei folgendes herauskam: „Untersucht wurden 73 Patienten mit glutenfreier Ernährung, deren Urin- und Blutproben mit jenen von mehr als 7.000 anderen Probanden verglichen wurden. Es zeigte sich: Die Arsenwerte im Urin waren bei den Probanden, die auf Gluten verzichteten, fast doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe. Die Quecksilberwerte im Blut waren im direkten Vergleich um bis zu 70 Prozent erhöht.“ Der Grund soll der erhöhte Konsum von Reismehl sein, das als Alternative zu Weizenmehl genutzt wird. Dass Reis überraschend hohe Arsenwerte hat, ist derzeit in vielen Medien zu lesen. Doch dann fällt ein Satz, der den Alarmismus, denn dieser Artikel ausstrahlt, doch relativiert: „Bis Studien den Zusammenhang zwischen glutenfreier Ernährung, erhöhten Arsen- und Quecksilberwerten und möglichen Gesundheitsrisiken belegen, könne man jedoch keine konkreten Aussagen über die Ernährungsform treffen“, wird die Studienautorin zitiert.

Ein Glück, doch nicht gleich Tod und Verderben

Aha, also doch nicht gleich Tod und Verderben bei glutenfreier Ernährung. Und wenn dem so wäre, müsste man sich dann nicht große Sorgen um die Menschen mit Zöliakie machen? Immerhin ernähren wir uns ausschließlich glutenfrei. Zöliakie ist in dem Artikel wohl erwähnt, aber mehr um darauf hinzuweisen, dass glutenfreie Ernährung für die breite Masse nicht notwendig ist. Und dass eben auch nicht belegt ist, dass glutenfrei gleichbedeutend mit gesünder ist.

Das stimmt bestimmt, vor allem wenn man sich die Kalorienangaben bestimmter glutenfreier Produkte ansieht. Aber für mich sind diese beiden so unterschiedlichen Artikel exemplarisch dafür, wie „glutenfrei“ gesehen wird. Entweder als das Nonplusultra oder als ein sinnloser, fast schon gesundheitsschädlicher Trend. Und beides ist schlicht Blödsinn. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Denn Fakt ist:

  • Menschen mit Zöliakie müssen sich glutenfrei ernähren. Sollte glutenfreie Ernährung ein Gesundheitsrisiko darstellen, müssen vor allem wir Zölis darüber informiert und aufgeklärt werden
  • Menschen haben das Recht sich so zu ernähren, wie sie wollen. Lustigerweise ist ja eindeutig belegt, dass zum Beispiel Fast Food tatsächlich negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat. Aber über jemanden der zu McDonalds geht, lästert man offenbar weit weniger gerne, als über den „Hipstertrend glutenfrei“. Übrigens auch nicht über Raucher. Die werden höchstens noch bemitleidet, wenn sie im Restaurant nicht alle anderen Gäste einnebeln dürfen. Aber wehe man verzichtet auf Gluten! Da gilt dann plötzlich: Feuer frei! (Beispiele gefällig? Bitte schön: „Da haben wir wieder gelacht…„, „TV-Kritik: Nur Häme, keine Information„)
  • Ja, der Glutenfrei-Trend hat seine Wurzeln zum Teil durchaus auch in falschen Annahmen und den eher hirnlosen Aussagen mancher Stars, aber ob Gluten auch unabhängig von Zöliakie bei manchen Menschen zu Reaktionen führt, wird derzeit intensiv untersucht, wie kürzlich in einem interessanten Artikel der Washington Post zu lesen war. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass es tatsächlich um mehr geht, als einen Modetrend.

Das Thema Unverträglichkeit ist aus vielerlei Gründen hochaktuell. Unser Nahrungsmittel haben sich verändert – und wirken dadurch offenbar auch anders auf unseren Körper. Sich darüber Gedanken zu machen, was einem selbst gut tut ist doch eigentlich nichts Negatives? Und selbst wenn jemand sinnloserweise mehr Geld für glutenfrei Ernährung, die er gar nicht braucht, ausgibt – so what? Menschen geben auch viel Geld für Dinge aus, die nur schlecht für sie sind (ja, ich meine unter anderem wieder Zigaretten), und wir gestehen ihnen das als freie Individuen zu.

Also, können wir uns dann wieder beruhigen? Wäre es möglich, nicht schon beim Wort „glutenfrei“ in den Abkotz-Modus zu verfallen? Oder es umgekehrt als allein seligmachende Form der Ernährung zu vergöttern? Ich will doch einfach nur in Ruhe essen, verdammt.

8 thoughts on “Du verzichtest auf Gluten? Feuer frei!

  1. haha „ich will doch einefach nur in Ruhe essen“ danke, du sprichst mir aus der Seele! Das denke ich mir oft wenn ich unterwegs bin und versuche etwas auf einer Speisekarte zu finden, oder wenn einer meiner Arbeitskollegen wieder die Nase rümpfend über meinem Essen schwebt
    Danke für deinen tollen Beitrag
    lg Tanja

  2. Sehr schöner Beitrag, ich bin selbst Fructoseintolerant und kenne diese kritischen Kommentare die echt nerven können. Jeder soll essen was er will ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen vor allem wenns dabei um die Gesundheit geht !

    Liebste Grüße

    Sarah

  3. Als ich vor ca 25 Jahren gesagt habe, ich ernähre mich vegetarisch, kam oft auch nur Unverständnis zurück oder die wildesten Theorien, warum das ungesund ist. Heutzutage ist das normal. Ich denke, da wird sich auch bei der glutenfreien Ernährung noch einiges ändern.
    LG Melli

    1. Liebe Melli,
      das kann gut sein. Mich erinnert die Häme, mit der über glutenfreie Ernährung gesprochen wird, überhaupt sehr daran, wie über vegan und vegetarisch geurteilt wird.
      Lg
      Barbara

  4. „Ich will doch einfach nur in Ruhe essen, verdammt!“
    So geht es mir auch. Die Frage von „kannst Du es wirklich nicht essen“ nervt so sehr.
    Den meisten antworte ich schon gar nicht mehr 🙁
    Danke für den Beitrag!

    1. Ich verstehe dich sehr gut. Mich wundert ja, warum man sich überhaupt so sehr damit beschäftigen muss, was jemand anderer isst oder nicht isst. Ich kommentiere das Essen von anderen ja auch nicht.
      Lg
      Barbara

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