„Anfangs hieß es: Backofen auf – Mülleimer auf“

Die Krankheitsgeschichten von Zöliakie-Betroffenen sind so vielfältig, wie die Symptome. Deshalb habe ich ein paar Mit-Coelis um ein Interview gebeten. Es ist immer wieder interessant zu erfahren, wie es anderen mit der Diagnose und schließlich auch mit der Zöliakie geht. Den Anfang macht Ernährungsberaterin Tanja Gruber aus Herrieden in  Deutschland. Ihre Homepage www.rezepte-glutenfrei.de ist eine der wichtigsten glutenfreien Rezept-Seiten im deutschsprachigen Raum. Empfehlenswert ist auch ihr Kochbuch Zöliakie, Laktose- und Fruktoseintoleranz: Das Koch- und Backbuch .

Barbara: Wann und wie wurde Zöliakie bei dir diagnostiziert?

Tanja: Die Zöliakie wurde bei mir im Jahr 2000 mittels Biopsie diagnostiziert. Zu dieser Zeit bestand die Zöliakie bereits seit gut 10 Jahren mit allen klassischen Symptomen.

War dir Krankheit vorher schon ein Begriff?

Nein, überhaupt nicht! Meine ersten Symptome machten sich im Alter von etwa elf oder zwölf Jahren bemerkbar, dies war um 1989/90. Damals und bis zur Diagnosestellung im Jahr 2000 hatten weder ich, noch meine Eltern jemals von Zöliakie gehört! Im Gegenteil! Meine Eltern sind Mühlenbesitzer und so kam niemand auf die Idee, dass das bei uns zuhause hergestellte Produkt „Mehl“ mir solche gesundheitlichen Probleme bereiten würde! Zwar war ich ständig, meist wöchentlich, in ärztlicher Behandlung, aber auf Zöliakie kamen meine damaligen Ärzte nicht. Viele verschiedene Behandlungen wie Eigenbluttherapie, Magen- und Darmspiegelungen, Blinddarmentnahme, Candida-Ernährung und monatelange Antibiotikagaben wurden vorgenommen, aber natürlich stets ohne Erfolg.

Was war dein erster Gedanken nach der Diagnose?

Daran erinnere ich mich noch sehr gut! Ich war sowas von erleichtert und froh, nun endlich einen Namen für all die jahrelangen, gesundheitlichen Probleme zu erfahren! Bereits seit Jahren wurden meine Symptome als „psychisch“ abgestempelt. Das war sehr hart! Nach der Diagnosestellung hatte ich jedoch noch keine Ahnung, welch lebenslanger Diätplan nun auf mich wartet. Ich ging zuerst davon aus, Medikamente für eine rasche Genesung zu erhalten und dies beflügelte mich sehr. Aber die Ernährungsberaterin ließ diese Seifenblase rasch zerplatzen.

Wie ging es dir mit der Ernährungsumstellung?

Der Termin bei der Ernährungsberatung dauerte keine 20 Minuten und versetzte mich kurzzeitig in einen Schockzustand! Ich erhielt ein DIN-A4-Blatt, auf welchem alle Lebensmittel standen, welche glutenhaltig sind oder sein können! Darauf war so ziemlich alles notiert, was ich bisher regelmäßig gegessen hatte. Ich war anfänglich sehr überfordert und ernährte mich fast ausschließlich von Kartoffeln oder Reis. Rasch schloss ich mich der DZG (Deutschen Zöliakie Gesellschaft) an und mein Speiseplan wurde um einiges bereichert. Im Jahr 2000 war ein gesicherter glutenfreier Einkauf nur mit den Lebensmittelbüchern der DZG möglich und ich bin heute noch sehr dankbar für diese großartige Hilfestellung.

Was fehlt dir am meisten, von dem es auch kein glutenfreies Ersatzprodukt gibt?

Ganz ehrlich: Nichts! Es sind verschiedene Faktoren, warum ich diese Aussage so sicher sagen kann. Zum einen ist es wohl die lange Krankheitsgeschichte, mit den vielen krankmachenden „normalen“ Produkten, um welche ich einen großen Bogen mache. Zum anderen stellt sich der Geschmack um und man gewöhnt sich rasch an die neuen Produkte. Des Weiteren gibt es mittlerweile eine derart große und sehr gute glutenfreie Produktauswahl, dass eine gesicherte und gute glutenfreie Ernährung bestens möglich ist. Nicht zuletzt ist es aber auch die umfangreichere Rohstoffauswahl sowie verbesserte Binde- und Verdickungsmittel mit welchen sich klassische und geliebte traditionelle Rezepte hervorragend zubereiten lassen!

Wie hat dein Umfeld die Diagnose aufgenommen?

Wie gesagt, meine Eltern sind Mühlenbesitzer und vor allem mein Vater konnte es nicht glauben, dass „sein“ Produkt mich derart krankmacht. Während der ersten Jahre, als die Zöliakie noch ziemlich unbekannt war, waren viele Erklärungen im Verwandten- und Freundeskreis notwendig, um nicht als „wählerisch“ dazustehen! Meine Familie, Verwandte und Freunde sahen jedoch die Notwendigkeit der glutenfreien Ernährung, indem es mir stetig besserging und ich zusehends aufblühte. So waren alle Zweifel an dieser „umständlichen“ Diät verschwunden.

Wirst du verstanden oder manchmal auch nicht ganz ernst genommen?

Anfänglich kann man es selbst kaum glauben, dass bereits kleinste Mengen Gluten Symptome auslösen. So muss natürlich auch für das Umfeld Verständnis aufgebracht werden! Schnell wird man in die Schiene „die will nicht alles essen“ gesteckt. Auch heute im Rahmen meiner Arbeit als Ernährungsberaterin, ist der Erklärungsbedarf sehr groß, warum nun z.B. eine Kuchenform nicht mit herkömmlichen Semmelbröseln ausgestreut werden darf, oder warum das glutnhaltige Messer nicht zum Schneiden für glutenfreien Kuchen verwendet werden darf. Aussagen wie „das bisschen Mehl wird schon nichts machen“ erfordert auch heute noch eine eindringliche Richtigstellung und sobald die Wichtigkeit der glutenfreien Ernährung erläutert wurde, sind alle Unklarheiten vom Tisch.

tanja-1

Wie waren deine ersten glutenfreien Backversuche?

Schlimm!!! Im Jahr 2000 waren glutenfreie Rezepte und Informationen für eine gelingsichere Herstellung sehr spärlich! Dementsprechend vielen meine ersten Backversuche aus! Mein erster glutenfreier Kuchen war ein Marmorkuchen, zubereitet aus Maismehl, der optisch wunderbar aussah! Bei uns hatte sich Besuch angekündigt und ich servierte stolz meinen ersten glutenfreien Kuchen. Obwohl gerade mit diesem Besuch immer ein spaßiger und reger Austausch stattfand, war dann beim Kuchenessen jeder ausschließlich damit beschäftig, den extrem trockenen Kuchen mit viel Kaffee irgendwie herunterzubekommen! Lange Zeit nach diesem Vorfall, sagte uns dieser Besuch, ich müsse nicht extra Kuchen backen, wenn sie uns besuchen! 😀

Im ersten Jahr der glutenfreien Bäckerei hieß es: Backofen auf – Mülleimer auf! Es war sehr deprimierend und nichts wollte gelingen. Brötchen waren kleine Wurfgeschosse, Kuchen so trocken und bröselig, dass einem die Brösel im Halse stecken blieben und Brot, welches nach dem Schneiden nur aus kleinen Stücken bestand, konnte nur mit viel Butter und Streichwurst fixiert werden, damit man es halbwegs essen konnte. Vom Geschmack mal ganz abgesehen… Nach diesem ernüchternden Jahr stellte ich das Backen komplett für ein Jahr ein. Obwohl Backen und Kochen immer zu meinen liebsten Hobbies gehörte, hatte ich keine Lust mehr darauf. Mein Speiseplan war sehr eintönig und so entschloss ich mich doch nach einem Jahr erneut ans Werk zu gehen um etwas mehr Auswahl zu erhalten. Es dauerte, aber nach und nach stellten sich durchaus schmackhafte Backergebnisse ein und ich freute mich über die neu gewonnene Lebensqualität jedes Mal sehr. Ich liebe es sehr, neue glutenfreie Rezepte zu entwickeln und vor allem auch traditionelle und klassische Gerichte und Backwaren auf meiner Homepage www.rezepte-glutenfrei.de zu veröffentlichen. Bei Einladungen habe ich stets einen glutenfreien Kuchen oder eine Torte mit dabei und dass das Gebäck glutenfrei ist, merkt mittlerweile niemand mehr!

Welchen ultimativen Tipp hast du für einen Neuling?

Die Zöliakie annehmen und stets das Beste daraus machen – Mut und Motivation beim Backen aufbringen! Auch wenn es sich hart anhört: Werft alle Gedanken, jemals wieder Glutenhaltiges verspeisen zu können, über Bord! Die konsequente, glutenfreie Ernährung verhilft euch zu einem neuen, gesunden Leben! Setzt euch mit den glutenfreien Ersatzprodukten auseinander. Auch wenn eure ersten glutenfreien Backversuche nicht euren Wünschen entsprechen, gebt nicht auf, ihr werdet erstaunt sein wie lecker Glutenfreies schmeckt!

3 thoughts on “„Anfangs hieß es: Backofen auf – Mülleimer auf“

  1. Ich verfolge deine Rezepte schon sehr lange über deine Homepage. Hab schon ganz vieles nachgebacken und alles bisher sehr gut gelungen und meisten immer sehr lecker. Vielen Dank für deine Mühe, hilft mit Sicherheit einigen weiter. Liebe Grüße

  2. Hallo! Am Donnerstag wurde mir beim Arzt mitgeteilt, daß ich Zöliakie habe. Ich bin aus allen Wolken gefallen, da ich keinerlei Schmerzen habe! Außer dem Eisenmangel und Hashimoto hatte ich ja bisher nichts. Mir tut nichts weh, ich spüre nichts, mir geht es gut. Wie kann das sein, daß ausgerechnet ich die Allergie habe!???? Sollte ich nach 3 Untersuchungen noch eine 4. woanders machen? Gibt es das – Zöliakie ohne Schmerzen? Mein Arzt sagt ja. Ich kann es nicht glauben. *heul*

    1. Hallo Sigi, dein Arzt hat Recht, das gibt es. Welche Untersuchung hast du gemacht? Nur Blut oder auch eine Dünndarmbiopsie?
      Kopf hoch, ich weiß, dass es im ersten Moment ein Schock ist. Aber glaub mir, man kann sehr gut und vor allem gesund mit glutenfreier Diät leben!
      Lg Barbara

Schreibe einen Kommentar zu Sigi Antworten abbrechen